Wohnungsknappheit in der Schweiz:
Ein missverstandenes Phänomen

Seit einigen Monaten ist Wohnungsknappheit ein Dauerthema in der Politik. Einerseits spielt hier sicherlich der Wahlkampfmodus der Parteien eine Rolle, andererseits zeichnet sich tatsächlich eine Verschärfung des Problems ab. Die Analysen und Antworten der Politik wirken dabei oft ideologisch eingefärbt. Deshalb möchten wir in diesem Blog die Hintergründe sowie die verschiedenen Graustufen des Problems nüchtern herausarbeiten.

1. Wohnungsknappheit als regionales Problem

Entgegen der landläufigen Meinung ist Wohnungsknappheit kein schweizweites Problem. Das Bundesamt für Statistik weist für 2023 einen Leerwohnungsbestand von über 54 000 Einheiten aus. Das ist zwar weniger als in den Vorjahren, aber mit einer Leerstandsquote von 1.15% noch immer im Normbereich. Die Schere geht auf, wenn wir uns die Städte und deren Agglomerationen anschauen und diese den ländlichen Regionen gegenüberstellen. So hat beispielsweise die Stadt Zürich eine extrem tiefe Leerstandsquote von 0.06% – in der Literatur gelten Quoten von unter 0.40% als Wohnungsnotstand. Wohingegen die Gemeinde Martigny im Wallis eine Leerstandsquote von 7.35% ausweist.

Obwohl im Gesamtwohnungsbestand eine Abnahme der Leerstände festzustellen ist, ist die akute Knappheit vor allem ein Problem der Grossstädte. Denn gerade auf dem Land wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten zum Teil sehr viel gebaut. Insbesondere institutionelle Anleger haben angesichts tiefer Verzinsung auf Immobilien gesetzt und somit regionale Überangebote geschaffen. Diese Überangebote bauen sich erst allmählich ab. Die Städte hingegen verzeichnen den Löwenanteil des Nachfragewachstums (Städtezuwanderung und Migration) und kommen zugleich mit der eigenen Wohnraumproduktion kaum mehr nach.

2. Verändertes Wohnverhalten als Knappheitstreiber

Nebst rein quantitativen Aspekten der Nachfrage sind auch qualitative Aspekte relevant. So nimmt etwa die durchschnittliche Haushaltsgrösse, insbesondere in den Städten, deutlich ab. Gleichzeitig steigt der Flächengebrauch dieser Haushalte, also der pro Bewohner beanspruchte Wohnraum. Bei Wohnungen liegt der durchschnittliche Flächengebrauch bei 46.5 m2 pro Person. Das entspricht einer Steigerung von rund 75% gegenüber dem Durchschnitt von 27 m2 im Jahr 1970. Beide Faktoren, die Haushaltsgrösse und der Flächengebrauch, tragen zur relativen Verknappung des Wohnangebots bei. Nach der Pandemie hat sich der Flächengebrauch noch zusätzlich akzentuiert über den Wunsch nach weiterem Raum für das eigene Home-Office.

3. Angebotshemmnisse erhöhen Mieten im Neubaubereich

Vor allem im Neubaubereich sind es vorwiegend der Landpreis und die Regulierung, welche das Wohnraumangebot verringern. Man kann sich dieser Schlussfolgerung nähern, indem man ein Vergleichsbeispiel durchspielt: Warum kostet eine 3.5-Zimmer-Neubauwohnung in Basel doppelt so viel Miete wie auf dem Land? Es liegt nicht an den Baukosten, diese sind auf dem Land sowie in der Stadt ungefähr gleich. Die Bauträger beziehen ihr Baumaterial zu den üblichen Weltmarktpreisen. Es sind auch oft die gleichen Bauträger, die auf dem Land und in der Stadt bauen. Einzig die Lohnkosten, vor allem im Bereich Planung und Architektur, variieren ein wenig. Am Ausbaustandard der Wohnungen liegt es in der Regel auch nicht. Es werden zwar tendenziell mehr luxuriöse Wohnungen in den Städten realisiert, für die breite Mittelklasse ist aber der Ausbaustandard einer Neuwohnung in Basel Matthäus gleich wie der in Gerlafingen. Letztlich haben die Investoren auch konstante Renditeansprüche, ob sie nun auf dem Land oder in der Stadt investieren.

Die grosse Mietpreisdifferenz reduziert sich somit auf zwei verbleibende Faktoren, nämlich auf das Land und auf das Bauverfahren. Mit rund CHF 9 000 / m2 ist der Landpreis in Basel zwei- bis dreimal so hoch wie in ländlichen Gegenden. Dieser hohe Preis ist wiederum ein Spiegelbild des sehr knappen Baulandangebots. Naturgemäss muss ein Investor die höheren Landerwerbskosten auf die Miete aufschlagen, da er ansonsten gar nicht wirtschaftlich ein Bauprojekt umsetzen könnte. Der Landanteil beim Neubau macht oft mehr als einen Drittel des gesamten Mietpreises aus. Der andere wesentliche Faktor ist das Bauverfahren, welches in den Städten notorisch schwierig ist. Einerseits werden immer mehr Behörden in Bauentscheide involviert und die Bauauflagen werden entsprechend komplexer und andererseits häufen sich die Einsprachen, gerade bei grösseren Projekten. Beides führt zu kostspieligen Verzögerungen für den Investor. Auch hier ist klar, dass der Investor diese Mehrausgaben später wieder reinholen muss. Diese künstliche Verknappung von Bauland in den Städten durch verfehlte Raumplanung, komplexe Bewilligungsverfahren und Einsprachen sind der Hauptgrund für steigende Mieten im Neubaubereich.

4. Die Dynamik aus Angebot und Nachfrage

Der Mietpreis ist letztlich ein Preis wie jeder andere und orientiert sich an Angebot und Nachfrage. Bei Knappheit steigt er, bei Überangebot sinkt er. Die Wohnungsknappheit in den Städten und ihren Agglomerationen ist die direkte Konsequenz einer strukturellen Unterproduktion von Wohnraum. Wir können wiederum die Stadt Zürich als Anschauungsbeispiel nehmen. In den letzten 15 Jahren sind pro Jahr durchschnittlich 6 000 Arbeitsstellen (inkl. Teilzeit) in der Stadt entstanden. Im gleichen Zeithorizont wurden pro Jahr rund 2 400 Wohnungen gebaut. Es ist offenkundig, dass sich hier ein Defizit auftut zwischen der Wohnraumnachfrage und dem tatsächlichen Angebot – auch wenn man für die Haushaltsgrösse korrigiert. Darauf reagiert der Mietpreis mit Erhöhungen, und dies ebenso bei den Bestandliegenschaften, welche ihre Mieten der Orts- und Quartierüblichkeit angleichen. Keine politische Massnahme, seien dies eine Verschärfung des Mietrechts, eine Preisbremse oder die Förderung sozialen Wohnungsbaus, kann dem entgegenwirken. Das fundamentale Problem ist das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage. Nur wenn diese Dynamik durch Planungsentscheide besser gesteuert wird, kommen die Mietpreise runter.

Nebst Entscheiden in der Raumplanung, der Umnutzung von Brachflächen und der Beschleunigung von Bauverfahren gibt es auch ganz einfache und sinnvolle Massnahmen, um das Wohnraumangebot in den Städten zu erweitern. Beispielsweise indem man dort, wo es das Stadtbild und die Infrastruktur zulassen, 1 bis 2 Stockwerke höher bauen lässt. Dies würde das Wohnraumangebot mit zahlreichen Vorteilen ausweiten. Es gäbe keine zusätzliche Flächenversiegelung, da die neuen Stockwerke auf der bestehenden Grundparzelle entstünden. Des Weiteren könnten die zusätzlichen Stockwerke mit vergleichsweise geringem Aufwand an das bereits bestehende Heiz-, Wasser- und Stromnetzwerk des Hauses angeschlossen werden. Dafür sprechen ebenso ökologische Argumente. Nicht zuletzt könnten die Stockwerke auch im Holzelementbau realisiert werden, welche zusätzlich die CO2-Intensität reduzieren. Gesellschaft und Politik sind aufgefordert, solche und weitere neue Wege zu beschreiten. Nur wenn es gelingt, die Dynamik aus Angebot und Nachfrage zu steuern, kann Wohnraum nachhaltig erstellt werden.

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Moritz Falck MRICS

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