- Moritz Falck
Kaum eine Entscheidung der jüngeren Zeit hat derartige Marktverschiebungen bewirkt wie die amerikanische Zollpolitik. Zugleich zeigt sich in diesen Verschiebungen aber auch eine allgemeine Anspannung der Märkte. Diese reagieren umso stärker, wenn eine kapriziöse Zollpolitik zusätzliche Unsicherheit ins Gesamte hineinbringt. Mit etwas Distanz zu den Vorkommnissen versuchen wir in diesem Blogbeitrag eine Orientierung beizusteuern.
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1. Die Geister des Merkantilismus
Im 16. Jahrhundert entwickelte sich unter den europäischen Königshöfen die Vorstellung, dass man mehr exportieren muss als importieren. Man wollte damit Geldabflüsse ins Ausland verhindern. Die Idee war, die eigenen Märkte gegen aussen abzuschotten und zugleich möglichst viele eigene Güter nach aussen zu exportieren. Diese als «Merkantilismus» bekannte Wirtschaftspolitik brach nach einiger Zeit in sich zusammen, nachdem sie als Begleiterscheinung noch diverse Wirtschaftskrisen und Hungersnöte auslöste. Die US-Regierung scheint von dieser urtümlichen Vorstellung des Handels beseelt zu sein. Wie elementar falsch diese Vorstellung ist, wissen wir zwar schon seit über 200 Jahren aus dem wegweisenden Werk von David Ricardo über den internationalen Handel. Diese Erkenntnisse scheinen aber im aktuellen Weissen Haus noch nicht angekommen zu sein.
Man kann das Wesen des internationalen Handels mit einer sehr einfachen Intuition aus dem eigenen Alltag verstehen. Die allermeisten Leserinnen und Leser werden ein sehr grosses Handelsbilanzdefizit mit der Migros oder dem Coop haben, wo man fast täglich einkaufen geht. In der Regel bezieht man aus diesen Supermärkten nur Güter, ohne eigene Erzeugnisse einzubringen. Genauer gesagt, man erwirbt die Güter mit Geld. Die Analogie beim internationalen Handel ist genau die Gleiche. Mit Migros und Coop halten die meisten von uns dieses Handelsbilanzdefizit ein Leben lang aufrecht, ohne dabei pleite zu gehen. Wie ist das möglich? In erster Linie, weil wir in anderen Handelsbeziehungen Überschüsse erwirtschaften. Das gilt insbesondere für die Erwerbsarbeit. Gehandelt wird hier im übertragenen Sinn Humankapital für Lohn. Das Humankapital kann mit entsprechenden Pausen und Ferien immer wieder abgerufen werden und ist umso wertvoller, je spezieller unsere Fertigkeiten sind. Der Überschuss aus diesem Bereich finanziert die Defizite in den anderen Bereich. Solange sich alle Marktteilnehmer auf die Bereiche spezialisieren, in denen sie besonders gut sind, profitieren alle davon. Massgeblich für das Funktionieren dieses Systems ist aber, dass alle Marktteilnehmer bei ihren verschiedenen Handelbeziehungen langfristig gleich viel ausgeben, wie sie einnehmen.
Auf Staaten umgemünzt gilt genau die gleiche Logik. Handelsbilanzdefizite sind nicht relevant in Bezug auf Wohlstand und Wachstum, solange sie sich langfristig mit der inländischen Wertschöpfung die Waage halten. Gerade die USA haben hier eine besondere Stellung, da sie zu den wachstumsstärksten OECD-Staaten gehören und eine hohe Wertschöpfung erzielen. Ein Teil dieser inländischen Wertschöpfung wird benutzt, um günstigere ausländische Güter zu importieren. Es ist wirtschaftlich betrachtet eher ein Zeichen der Stärke als der Schwäche. Gewiss ist der Handel keine Einbahnstrasse für Wohlstand und es halten sich auch nicht alle Länder an die vereinbarten Regeln, was insbesondere auf China zutrifft. Diesen Herausforderungen aber die Abrissbirne anstatt des Skalpells entgegenzuhalten, ist an mangelnder Weitsicht kaum zu übertreffen. Im Übrigen haben die USA bei den Dienstleistungen seit über 50 Jahren einen Handelsbilanzüberschuss mit dem Rest der Welt hat – eine Folge der dominanten amerikanischen Musik- und Filmindustrie, der Tech-Konzerne sowie des Architektur- und Ingenieurswesens. Doch davon spricht in Washington niemand, wohl auch weil es sich mit der merkantilistischen Erzählung der US-Regierung schlecht verträgt.

2. Kommt der Zollhammer zurück?
Der Markt fragt sich zu Recht, was nach der 90-tägigen Aussetzung der Zölle passiert. Kommen sie zurück? In abgeschwächter Form? Oder verschwinden sie gänzlich? Aus unserer Sicht kann angesichts der Unberechenbarkeit der US-Regierung kein Szenario ausgeschlossen werden. Allerdings tendieren wir dazu, dass der Zollhammer in dieser Höhe wohl nicht zurückkommen wird. Den Hauptgrund für diese Annahme sehen wir im Verhalten der Finanzmärkte. Nebst massiven Korrekturen der Aktienmärkte, die zum Teil auch durch Spekulation getrieben waren, hat vor allem der Anleihenmarkt sehr stark reagiert und wohl massgeblich zum Rückzieher des US-Präsidenten beigetragen. In den Tagen nach der Zollankündigung wurden amerikanische Staatsanleihen massenhaft verkauft und die Zinsaufschläge stark erhöht. Der Markt zeigte damit auf, dass er das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Zahlungsfähigkeit der USA ein Stück weit verloren hatte. Ein ähnliches Szenario beendete die kurzlebige Premierschaft von Liz Truss im Vereinigten Königreich. Für die US-Regierung ein klares Alarmzeichen, da es einerseits höhere Zinsen für amerikanischer Schulden bedeutete und andererseits die langfristige Finanzierung des staatlichen Ausgabedefizits gefährdete. Beides kann sich die USA angesichts seiner bereits hohen Verschuldung nicht leisten.
Es ist nicht zwar auszuschliessen, dass die US-Regierung in ihrem innenpolitischen Bestreben Härte zu zeigen, diese Alarmsignale beim zweiten Mal in den Wind schlägt. Die Risiken eines weltweiten Finanzkollaps und das daraufhin garantierte Scheitern der Trump-Administration sollten aber auch präsidialen Allmachtsfantasien gewisse Grenzen aufgezeigt haben. Die massive Eskalation des Zollstreits mit China muss sich hingegen noch weisen. Aber auch hier ergeben sich erhebliche Risiken. China hält über USD 780 Milliarden an amerikanischen Staatsanleihen. Wenn China beginnt, auch nur einen Teil dieser Anleihen im grösseren Stil abzubauen, setzt das den amerikanischen Anleihenmarkt unter massiven Druck. Zwar würde China damit teilweise auch eigenes Staatsvermögen vernichten. Doch ist anzunehmen, dass China in einer harten Machtprobe zu diesem Mittel bereit wäre. Des Weiteren repräsentiert die USA 12% der chinesischen Exportwirtschaft. Ein Verlust dieses Marktes ist zwar schmerzhaft, aber dennoch verkraftbar für China. Umso mehr wird China probieren, ihre durch Währungsmanipulation künstlich tief gehaltenen Exportgüter noch stärker auf anderen Märkten zu platzieren. Insbesondere Europa muss sich auf eine Schwemme chinesischer Billiggüter vorbereiten, die hiesige Produzenten unter Druck bringen werden. Ohne flankierende Massnahmen in der Handelspolitik droht hier Ungemach.

3. Europa: Zwischen Verschuldung und Produktivitätsschwäche
Europa steht in vielerlei Hinsicht vor ungewissen Zeiten. Der von Trump vom Zaun gebrochene Handelskrieg, die sicherheitspolitisch prekäre Lage und ein stotternder Wirtschaftsmotor zeigen Europa schonungslos auf, wo es im Mächtekonzert des 21. Jahrhunderts steht. Nämlich bestenfalls in der zweiten Reihe. Zwar ist der europäische Wirtschaftsraum nominell der grösste der Welt, auch vor China und den USA. Doch in der vielfältigen Interessenslage europäischer Politik und der relativen Schwäche der Einzelstaaten wird die zunehmend auf Realpolitik getrimmte Weltlage zur Krise für den Kontinent. Hier sind die Handelszölle nur ein weiteres Problem unter vielen.
Europa ist hochverschuldet, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. Gleichzeitig fällt es in vielen Industrien zurück. Dies schafft ein Dilemma für viele Staaten. Sie bräuchten Milliardeninvestitionen in Infrastruktur, Technologie und Ausbildung, können sich diese Investitionen aber aufgrund der aufgestauten Verschuldung nur bedingt leisten. Die Defizite in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik reissen ein weiteres Finanzloch in die Haushalte. Ein markantes Anschauungsbeispiel zu diesem Problem liefert Italien. Italien gibt mit über EUR 80 Milliarden für die Zinsen auf ihren Staatschulden fast dreimal so viel aus wie für die Gesamtheit der staatlichen Ausgaben in Forschung und Entwicklung.
Verschiedene Staaten und auch die EU haben zwar grosse Investitionsprogramme verabschiedet. Es ist allerdings fraglich, ob diese auch langfristig das nötige Wachstum generieren können. Hier ist das Hauptproblem die Produktivität, die in Europa seit vielen Jahren stagniert und punktuell sogar zurückgegangen ist. Höhere Verschuldung ist volkswirtschaftlich betrachtet kein Problem, solange dadurch später mehr Wertschöpfung erzielt wird, mit der man dann die Verschuldung zurückbezahlen kann. Dies geht aber nur, wenn die Produktivität der Firmen und der arbeitenden Bevölkerung ansteigt. Andernfalls wachsen die Schulden strukturell schneller als die Wirtschaftsleistung, was früher oder später in die Sackgasse führt – es sei hier beispielhaft an die griechische Schuldenkrise erinnert. Europa lahmt an einer Produktivitätsflaute. Firmen steigern ihre Effizienz zu wenig und der personell schrumpfende Arbeitsmarkt liefert immer weniger Stunden. Gleichzeitig drängt die ostasiatische Konkurrenz vehement in die europäischen Märkte, während die USA ihr Land für den Export unattraktiv machen. Und all dies geschieht vor dem Hintergrund eines Eroberungskrieges, der noch immer in aller Brutalität in der Ukraine tobt.

4. Quo vadis, Schweiz?
Die Schweiz ist angesichts der weltweiten Herausforderungen in einer verhältnismässig soliden Lage. Sie hat eine moderate Verschuldung, eine stabile Währung und intakte wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Gleichwohl spürt die Schweiz die internationalen Verwerfungen. Das exportorientierte Gewerbe stellt immer mehr auf Kurzarbeit um, da die Aufträge aus dem Ausland fehlen. Hier ist insbesondere die schwächelnde deutsche Autoindustrie zu nennen, die viele Spezialzulieferer in der Schweiz hat. Die massive Frankenstärke trägt zu dieser Exportproblematik bei. Ebenfalls auf einer Durststrecke befindet sich die Luxusgüterindustrie, hier vor allem die Uhrmacherei. Die schwächelnde Weltwirtschaft und die Absatzrückgänge in Asien setzen der Branche zu.
Die Schweiz scheint von ihrem Status als sicherer Hafen zwar insgesamt zu profitieren, aber in weit geringerem Ausmass als früher. Die Schweiz hat nämlich im internationalen Vergleich an Standortattraktivität verloren. Nebst politischen Begehrlichkeiten wie etwa einer JUSO-Erbschaftsinitiative sind es auch die wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten der Schweiz, die international zu mehr Zurückhaltung führen. Als kleine, offene Volkswirtschaft spürt die Schweiz Handelshemmnisse oder den Nachfragerückgang im Export besonders stark. Ein Teil des Marktes scheint diesen Rückgang auf eine längere Zeit auszulegen und hält daher mit Investitionen zurück.
Die Kombination aus Aufwertung des Frankens und einer schwächelnden Wirtschaft sind wohl die Hauptreiber für eine erneute Tiefzinspolitik der SNB. Es ist davon auszugehen, dass diese Politik noch auf ein Nullzinsszenario hinauslaufen könnte, sofern keine Inflationsexplosion folgt. Dies macht Kredite günstiger, wird sich aber etwa nur bedingt bei den Fremdkapitalzinsen bemerkbar machen. Einerseits gelten seit Anfang Jahr die Basel III-Bestimmungen, die höhere Eigenmittelanforderungen an die Banken stellen. Diese höheren Kapitalkosten geben die Banken an ihre Kunden weiter. Andererseits preisen die Banken die sehr instabilen Marktlage mit höheren Aufschlägen auf ihren Firmenkrediten und Hypotheken bereits ein.

Fazit
Der Liberation Day des US-Präsidenten hat ohne Not rund USD 10 Billionen an Wert vernichtet. Ein wirtschaftspolitisches Rezept aus dem 16. Jahrhundert hat sich heute wie schon damals auch als vollkommen ungeeignet herausgestellt. Der Anleihenmarkt hat entsprechend scharf auf die Zollankündigungen reagiert und schliesst die Zahlungsunfähigkeit der USA nicht mehr aus.
Diese angespannte Marktlage trifft Europa und Teile Asiens auf dem falschen Fuss. Gerade Europa hat Mühe, Verschuldung, Produktivitätsschwäche und die Belastungen der internationalen Wirtschaftslage unter einen Hut zu bringen. Die Schweiz hält in dieser ungemütlichen Lage ihr Schiff zwar weitestgehend auf Kurs. Der Gegenwind ist aber deutlich steifer geworden.
Das Jahr 2025 verspricht einiges an Dynamik für den Schweizer Immobilienmarkt. Von den etwas weiter entfernten internationalen Konflikten und Handelsrivalitäten, einem unsicheren Finanzmarktumfeld oder den politischen Umwälzungen in der Nachbarschaft bis zu den hiesigen Zinsentscheiden und lokalen Planungsrevisionen.
Die Zinsen sind wieder rückläufig und der Schweizer Immobilienmarkt ist eigentlich nie aus seiner Hausse herausgekommen. Handelt es sich um eine Preisblase, die einfach noch nicht geplatzt ist oder dreht sich die Preisspirale doch noch weiter nach oben?